Von Stefan Petri
Zum ersten Mal hat die NFL Station in Frankfurt gemacht: Nach dem Gastspiel in München 2022 stand diesmal das Spitzenspiel zwischen den Kansas City Chiefs und den Miami Dolphins im Deutsche Bank Park auf dem Programm. SPOX-Redakteur Stefan Petri war vor Ort und hat sich das Spektakel aus nächster Nähe angeschaut. Mit dabei: viel Party, viele Pausen, eine neue Hymne - und eine kontroverse Geste.
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NFL Frankfurt Game: Mehr Chiefs-Heimspiel als Party
Es war gar nicht so leicht, in den Stunden vor Spielbeginn die Sympathien der rund 50.000 Fans abzuschätzen. Ein leichtes Übergewicht der rot-weißen Chiefs-Jerseys schien es auf dem Weg ins Stadion zu geben - hauptsächlich natürlich die Nummer 15 von Patrick Mahomes, danach die 87 von Travis Kelce -, aber auch die Dolphins-Farben waren vertreten. Und natürlich die Jerseys so ziemlich jeder anderen Franchise ebenfalls, teilweise mit schön obskuren Namen (Gruß an den Packers-Fan mit Ha Ha Clinton-Dix auf dem Rücken!). Würde es sich also nur auf dem Papier um ein Heimspiel der Chiefs handeln?
Weit gefehlt! Schon vor dem Deutsche Bank Park hörte man beim Aufwärmen der Spieler lauten Jubel oder Buhrufe, was sich schließlich bestätigte, als ich meinen Platz auf der Pressetribüne einnahm: Die Sympathien waren klar verteilt. Es war natürlich auch Football-Party, wie schon vergangenes Jahr in München, aber es war eben ein Heimspiel der Kansas City Chiefs.
Das zeigte sich nicht nur beim Drumherum: Ja, es waren nur die Chiefs-Cheerleader anwesend, es wurden auf dem Rasen lediglich Chiefs-Banner geschwenkt. Wo bei den Chiefs-Touchdowns sofort die Beastie Boys als "Torhymne" vom Band liefen, gab es bei den Dolphins nur Totenstille.
Doch den größten Unterschied machten tatsächlich die Fans. "Es waren viele Chiefs-Fans da, darüber war ich extrem glücklich. Es hat sich wie ein Heimspiel angefühlt, die Frankfurter Fans haben einen tollen Job gemacht", staunte auch Mahomes. Der wurde bei jedem gelungenen Pass frenetisch bejubelt, und als einmal die Zeitlupe von einem späten Hit gegen ihn auf dem Videowürfel lief, gab es ein gellendes Pfeifkonzert.
Schwer zu sagen, woran das am Ende lag. Es hatten zwar auch einige Fans aus den USA den Weg nach Frankfurt gefunden - mindestens einer erzählte, er sei direkt aus Kansas City gekommen -, aber ein derart deutliches Übergewicht bei NFL-Fans in Deutschland gibt es mit Sicherheit nicht. Hatten es die Chiefs-Fans im Stile der SGE-Anhänger in Barcelona geschafft, das Stadion erfolgreich zu infiltrieren? Kommt der Rest erst nächsten Sonntag? Hat die NFL dran gedreht?
NFL Frankfurt Game: Chiefs-Fans zeigen "Tomahawk Chop"
Wie auch immer: Zwar waren die Ränge nicht in ein Meer aus Rot getaucht, aber die Verhältnisse lagen bei mindestens 80:20 pro KC. Natürlich gab es auch bei den Big Plays der Dolphins kurzen Jubel, aber mehr als ein zaghafter "De-fense!"-Schlachtruf war darüber hinaus nur selten zu hören.
Dafür war ständig der berühmte "Tomahawk Chop"-Schlachtruf der Chiefs-Fans zu hören, vom Bahnhof bis hin zum Stadion und natürlich wieder zurück. Während des Spiels zeigten hunderte, vielleicht sogar tausende Anhänger den klassischen, nach unten hackenden Arm. Ob und wie problematisch diese Geste ist, darüber gehen die Meinungen in den USA auseinander. Dass der Chop auch in Deutschland sehr beliebt zu sein scheint, hat mich aber zugegebenermaßen ein bisschen überrascht.
NFL Frankfurt Game: Die Fans werden angeleitet
Was sich auf jeden Fall sagen lässt: Es handelte sich in Frankfurt um ein fachkundiges Publikum. Mit Sicherheit wird es den einen oder anderen Event-Fan gegeben haben, der einfach mal wissen wollte, wie es bei einem Football-Spiel so ist - dagegen lässt sich ja auch nichts sagen -, doch die absolute Mehrheit stellte sich als NFL-Fan dar, mit Jerseys, Schals oder gleich in kompletter Montur, Schminke inklusive.
Vielleicht hat man das im NFL-Hauptquartier ein bisschen unterschätzt, vielleicht wollte man kein Risiko eingehen. Oder eben Rücksicht auf die "neuen" Fans nehmen. Aber zumindest mir schien es so, dass bei den Ansagen des Stadionsprechers, der über ge- und misslungene Spielzüge informierte und Down-and-Distance ansagte, die eine oder andere Extra-Info eingeflochten wurde, damit jeder weiß, was da gerade passiert.
Zwei Anmerkungen. Erstens: Wo nur kriegen die Amis immer diese Announcer-Stimmen her? Wie Michael Buffer auf Steroiden, amerikanischer geht es gar nicht. Zweitens: Früh im Spiel schien es so, als würde die Stimme aus dem Off die Fans dazu anzuleiten, beim "And that's a new ... FIRST DOWN!" die letzten beiden Worte mitzubrüllen. Daraus wurde aber nichts.
PS: Ganz klassisch wurde gerade bei Third Down der Dolphins über die Videoleinwände dazu animiert, möglichst laut zu werden - als musikalische Untermalung hatte man sich für diese Situationen "Enter Sandman" von Metallica ausgeguckt. Das ist auch in den US-Stadien üblich und funktionierte tatsächlich: Beim entscheidenden Fourth Down der Dolphins kurz vor Schluss herrschte ohrenbetäubender Lärm.
NFL Frankfurt Game: Timeouts, Pausen und Spielunterbrechungen
Football-Fans erzähle ich mit dieser Erkenntnis nichts Neues - irgendwo müssen die (über) drei Stunden Spieldauer eines durchschnittlichen NFL-Spiels bei nur 60 Minuten Nettospielzeit ja herkommen. Auf der Tribüne schlägt diese Erkenntnis aber nochmal neu durch, wenn man sich die Zeit nicht mit Chips holen oder dem Smartphone vertreibt - oder ohnehin wie ich am Sonntagabend eigentlich immer die Konferenz auf dem RedZone-Channel bevorzugt.
Spielunterbrechungen durch Strafen oder Verletzungen. Pausen vor Kicks oder Punts. Wechsel des Ballbesitzes. 30-Second-Timeouts, Full Timeouts, Two-Minute-Warnings. Video Reviews. Da fällt die Halbzeit mit einer Länge von zwölf Minuten überraschend kurz aus.
Ähnlich der Henne und dem Ei weiß man in den USA bekanntlich nicht, was zuerst da war: Football oder die Werbepause. Manch einer kann sich sogar noch an die Prognose erinnern, dass sich Fußball nie und nimmer bei den Amis würde durchsetzen können - 45 Minuten am Stück ohne Werbepause sind dort schließlich unvorstellbar.
Was mir im Stadion in Frankfurt noch einmal ganz neu auffiel: Wie oft und lange die beiden Teams auf dem Feld stehen und warten, bis es wieder losgehen kann. Naja, man gewöhnt sich eben an alles.
NFL Frankfurt Game: Die Fans müssen unterhalten werden!
Wie die TV-Sender und Streamingdienste die oben genannten Unterbrechungen füllen, ist kein Geheimnis. Die Anhänger im Stadion wollen und sollen aber ebenfalls unterhalten werden. Dafür wurde in den Pausen alles gezündet, was das Entertainment-Budget hergab: Knutsch- und Flex-Cam, Interviews, Minispiele, Werbespots (gab es natürlich auch im Stadion), sogar eine Chips-Kanone wurde gezündet. Den größten Applaus gab es aber erst bei einem spontanen Heiratsantrag an der Seitenlinie.
Hier fehlt mir der Vergleich zur NFL vor Ort, aber: Erstaunlich, wie viel Mühe man sich gab, es keine Sekunde leise werden zu lassen. Dabei war vor allem der DJ gefragt, der von Dschingis Kahn bis zur Darts-Hymne "Chase The Sun" (Ihr wisst schon: Dö dödödödööööö ....) alles auflegte, was die Party-Playlist hergab. Aber muss das auch mitten im Spiel sein? Teilweise wurde bis zur letzten Sekunde vor dem Snap mit voller Lautstärke Party-Mucke durch die Boxen gejagt. Braucht kein Mensch.
PS: Es würde mich nicht wundern, wenn die Cheerleader am Ende ihrer Schicht mehr Kalorien verbrannt haben als die Stars. Die hatten nämlich deutlich weniger Pausen ...
NFL Frankfurt Game: Deutschland hat eine Football-Hymne
Eine Erkenntnis, die viele US-Journalisten im vergangenen November aus München mit nach Hause brachten: Wow, die Deutschen sind echt riesige Fans von John Denver! Nun sei dahingestellt, ob die Generationen U40 den Song "Country Roads" eher mit John Denver verbinden oder der Hermes House Band: Es ist zumindest einer der wenigen englischsprachigen niveauvollen Songs, die als Gassenhauer taugen und die fast jeder mitsingen kann. Perfekt also fürs Stadion. Und so wurde es in München richtig episch.
Offen war lediglich die Frage, ob sich das Schauspiel in Frankfurt wiederholen würde oder ob man zumindest eine weitere Hymne etablieren würde. Als die Zuschauer zwischenzeitlich per QR-Code für einen Song abstimmen durften und "Hey Baby" von DJ Ötzi ganz vorn landete, schwante mir schon Schlimmes. Am Ende war es dann aber wieder "West Virginia" und der "Shenandoah River", der begeistert vom ganzen Stadion besungen wurde. Und zwar in einer Auszeit - in einer wichtigen Situation der Partie. Egal: Das Lied wurde eiskalt in voller Länge durchgedrückt.
Spätestens jetzt würde ich jede Wette eingehen, dass John Denver auch am 12. November bei Patriots vs. Colts wieder angestimmt wird. "Country Roads" ist unser "Sweet Carolina". Unser "You'll Never Walk Alone". Deutschland hat eine Football-Hymne, daran ist nicht mehr zu rütteln.
NFL Frankfurt Game: Ein gelungenes Football-Fest
Dass die Fans sich nach dem Spiel friedlich und zufrieden auf den Weg nach Hause machten, lag natürlich auch am knappen 21:14 für die Chiefs, aber längst nicht nur: Vom Rahmenprogramm bis hin zum Spiel ließ sich insgesamt nur wenig kritisieren, da störten auch der zeitweilige Nieselregen und die Temperaturen von 10-12 Grad nicht. "Die Atmosphäre war der Wahnsinn", sagte ein Fan zu mir: "Ich war vor fünf Wochen in London, aber das hat alles übertroffen." "Das kann man mit der Bundesliga nicht vergleichen", sagte ein anderer.
Die Teams? "Wir wollen nicht erst in acht Jahren wieder in Übersee spielen", betonte Chiefs-Präsident Mark Donovan gegenüber Peter King. "Was wir heute machen, wird sich in 30 Jahren auszahlen."
Die Spieler? "Als hätten wir Arrowhead [aus Kansas City] mitgenommen und hier nach Frankfurt verfrachtet", lobte Receiver Justin Watson.
Dann gibt es ja nicht mehr viel zu bemängeln. Lediglich die Halftime Show ließ meine Gesprächspartner kalt: "Wir hätten gerne Taylor Swift gesehen."
Author: John Spencer
Last Updated: 1702947242
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